Kraftklub – „Kargo“ (Vertigo/Universal Music)
Gestern (23.09.2022) erschienen via Vertigo (Universal Music): “Kargo”, das neue Album der Chemnitzer Band Kraftklub. Auf ihrem vierten Studioalbum, welches auf den Longplayer „Keine Macht Für Niemand“ (D #1) aus dem Jahre 2017 folgt und mit Gast-Features von Tokio Hotel, Mia Morgan und Blond aufwartet, offeriert die Band um den Frontmann Felix Kummer zahlreiche wunderbare Indie Pop-Hymnen, welche voller Gesellschaftskritik sind. Das mit Rap- und Punk-Elementen angereicherte Werk „Kargo“, dessen Vorboten Singles wie „Ein Song Reicht“, „Wittenberg Ist Nicht Paris“, „Fahr Mit Mir (4×4)“ (KRAFTKLUB feat. TOKIO HOTEL), „Teil Dieser Band“ und „Blaues Licht“ waren, hat es übrigens auf Anhieb auf Platz 1 der deutschen iTunes-Longplay-Charts geschafft.
Don’t call it a Komeback – oder vielleicht doch: zehn Jahre nach ihrem ersten und fünf nach ihrem letzten veröffentlichen Kraftklub ihr neues Album “Kargo”. Eine der erfolgreichsten Bands des Landes macht 2022 nochmal klar, wer bei deutschem Indie im Chefsessel sitzt. Zugegeben, es hat nicht viel dafür gebraucht. Bereits nach drei Takten der ersten Single “Ein Song reicht” wussten Fans und Kritiker*innen gleichermaßen, dass die Uhr K geschlagen hat.
“Kargo” ist die konsequente Fortführung des Kraftklub-Sounds unter den verschärften Bedingungen der Gegenwart. Die zackigen Gitarren, die 4-to-the-floor-Beats, die zur ekstatischen Größe neigenden Refrains, alles ist noch da. Aber die Band kann ihr eigenes Erwachsenwerden nicht verbergen. Zum Glück. Trendforscher*innen sagen bereits seit vielen Monaten voraus, dass Indie ein Comeback feiern wird. Und das nicht nur modisch, sondern auch musikalisch. Also ist es womöglich kein Zufall, dass Kraftklub auf die Helden von damals referieren – Mike Skinner, Kate Nash, Lykke Li.
Und auch die fünf Chemnitzer selbst würden in ihre eigene Aufzählung passen, haben sie doch seit ihrem Debüt “Mit K” im Jahr 2012 maßgeblich in ihrer Generation mitgeprägt, wie deutschsprachige Musik klingt, aussieht und was sie erzählt. Und jetzt also, eine Dekade später, immer noch.
“Kargo” ist aber nicht einfach nur ein weiteres Kraftklub-Album. Es ist das erste seit Beginn der Coronakrise und es ist vor allem das erste, seit Frontmann Felix Brummer mit seinem Soloprojekt “Kummer” einen erfolgreichen Ausflug auf eigenen Beinen unternommen hat. “Kummer war angelegt als größtmöglicher Kontrast zu Kraftklub und irgendwann haben mir einfach die anderen gefehlt. Es gab keine große Wiedersehensfeier, aber als wir wieder zusammen im Proberaum standen, war klar, dass wir jetzt wieder zusammen sind. Eigentlich war das wie nach Hause kommen”, beschreibt Felix selbst die Rückkehr in den Kreis der Band im Sommer 2020.
Aber was hat die Erfahrung als Solokünstler verändert? “Die Art, wie ich für Kummer getextet habe, hat auf jeden Fall abgefärbt. Da habe ich auch gemerkt, dass ich die Texte, von denen ich dachte, dass sie zu nah an mir dran sind, durchaus auf einer großen Bühne vortragen kann.” Und ja, verdammter Mike Skinner, Kate Nash, Lykke Li. Aber eben auch verdammte Klimakrise, Rechtsruck, Pandemie.
In der Konsequenz bedeutet das, dass die Lyrics auf “Kargo” eine neue Einfärbung bekommen haben. Eine gewisse Melancholie, Schärfe und Reife blitzen da in den elf Songs durch, wo sonst noch testosterongeladene Zeilen den ganz großen Abriss verkündet hätten.
Nach der bewegten Zeit seit dem letzten Album ist es nur logisch, dass der Opener “Teil dieser Band” erstmal Bilanz zieht über die turbulente BandHistorie. Brummer stellt im Chorus mit gewohnter Selbstironie klar: “Ich kann nicht singen/ Ich spiel kein Instrument/ Aber alle am Springen/Und ich schrei den Refrain”. Wie gesagt: sie sind in dieser Hinsicht ganz die Alten geblieben.
Und auch “Wittenberg ist nicht Paris” nimmt direkt den Faden klassischer KraftklubThemen wieder auf. Brummer findet präzise Worte für die zunehmende politische Gemütlichkeit einer Generation, die zwar älter, aber nicht unbedingt kritischer oder sich ihrer Privilegien bewusster geworden ist. Und die gehofft hatte, das würde schon nicht auffallen. Aber falsch gedacht: Die analytischen Lyrics lassen niemanden aus, auch wenn das zuweilen bedeutet, die Haltungsschäden in den eigenen Reihen aufzuzeigen. Denn ja, trotz Wiedervereinigung macht es eben leider immer noch einen Unterschied, ob jemand in Finsterwalde oder Villingen-Schwennigen auf die Welt kommt.
Auch “Vierter September” rechnet ab. Mit den Ereignissen rund um die “Wir sind mehr”-Bewegung, bei der Kraftklub federführend mitgewirkt haben und mit der Tatsache, dass der Alltag danach verdächtig schnell wieder Einzug hielt. “Wir haben nie als Band öffentlich über das Thema geredet, aber die Zeit damals war sehr intensiv für uns. Das ist der Versuch, in Songform ein paar Dinge einzuordnen”, sagt Felix dazu. Ein zentraler, bissiger Track mit einer genauso zentralen Botschaft: Wir haben es uns auch
an dieser zu bequem gemacht. Die Folgen davon sind seit langem sichtbar.
Thematisch zusammenhängend dazu steht auch “Angst”. Es ist eine zynische Antihymne auf die Heiligtümer deutscher Wohlstands- und Kleinbürgerlichkeit: gepflegter Vorgarten, noch gepflegteres Auto, strukturelle Unterdrückung. Kein Gott, kein Staat, kein Businesshemdenpatriarchat – mit diesem Song bekommt der Alman die Zeilen seines eigenen Abgesangs in den Mund gelegt.
Für “Kargo” haben Kraftklub außerdem eine interessante Mischung an Gäst*innen versammelt. Familiär und stilistisch naheliegend unterstützen Blond auf “So schön”, wo die Verbindungen zwischen Schönheitsidealen, dem sogenannten “Pretty Privilege” und deren kapitalistischen Auswüchsen liegen – das alles gebettet auf ein brachiales Gitarrenriff, bei dem live eventuell einige weniger schön aus dem Moshpit kommen werden. Shootingstar der Stunde Mia Morgan steuert mit ihren engelsgleichen Parts in “Kein Gott, kein Staat, nur du” zu einem der vielleicht monumentalsten Liebeslieder in der Kraftklub-Diskographie bei. Die größte Überraschung sind aber sicher die ExilMagdeburger Tokio Hotel: “Fahr mit mir (4×4)” hält beschwingt die Mittelfinger hoch in Richtung Rasengitterdeutschland, Provinzfolklore und ostdeutscher Heimatbeklemmung in der Kleingartenanlage. Es ist ein endgültiger Abschied von der Vergangenheit, ein Song wie ein Roadtrip, weit, hoch und kühl wie ein Maisfeld im August. Und außerdem ein verdammter Ohrwurm.
Die Platte schiebt und drückt zugleich, und will vor allem eins: auf die Bühne. Denn trotz aller kluger Gedanken steckt in den fünf Musikern genug Energie für zehn, oder besser: Zehntausende. Und in einer Zeit, in der so viel im Umbruch ist und die Zukunft nie unberechenbarer schien, liefert “Kargo” die richtigen Botschaften, Klarsicht und gewohnte K-Kraft, um die Hörer*innen auf Albumlänge einmal auf links zu drehen. Kraftklub sind Kraftklub geblieben. Indie mit Stadion-Attitüde, auf kluge Art dagegen, immer irgendwo zwischen Chemnitzer Bockigkeit und klarsichtiger Problemdiagnose haben sie nichts an Schlagkraft eingebüßt, aber an Tiefe dazugewonnen.
(Presse-Info – Copyright © 2022 Check Your Head GbR)
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Hier das offizielle Video zu „Blaues Licht“:
Und hier das Video zu „Fahr Mit Mir (4×4)“ (KRAFTKLUB feat. TOKIO HOTEL):
Hier schließlich das offizielle Video zu „Ein Song Reicht„:
Das Album auf Spotify anhören:
Kraftklub – Kargo Tour 2022
10.11.2022 Kiel, Wunderino Arena
11.11.2022 Rostock, Stadthalle
12.11.2022 Lingen, Emslandarena
14.11.2022 Hamburg, Sporthalle
15.11.2022 Braunschweig, Volkswagen-Halle
17.11.2022 München, Zenith
18.11.2022 München, Zenith
19.11.2022 AT-Wien, Stadthalle
21.11.2022 Düsseldorf, Mitsubishi Electric Halle
22.11.2022 Münster, Halle Münsterland
25.11.2022 Stuttgart, Schleyer-Halle
26.11.2022 CH-Zürich, Halle 622
28.11.2022 Köln, Palladium
29.11.2022 Köln, Palladium
01.12.2022 Berlin, Max-Schmeling-Halle
02.12.2022 Leipzig, Quarterback Immobilien Arena
03.12.2022 Frankfurt a. M., Festhalle
04.12.2022 Erfurt, Messehalle
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Kraftklub – „Kargo“ (Vertigo/Universal Music)